Dai Schulteknüppel

Geschichte und Bedeutung des “Dai Schulteknüppel”

Verehrte Leser, liebe Heimatfreunde,

gelegentlich werde ich gefragt, was der Name unseres Mitteilungsblattes “Dai Schulteknüppel” bedeutet. Ins Neuhochdeutsche übertragen, heißt das “Der Schulzeknüppel”, Sie verstehen richtig, gemeint ist der Knüppel des Schulzen.

Die Bezeichnung “Schulze” für den Vorsteher einer Gemeinde galt Jahrhunderte und endete 1891. Von da an hieß er gemäß Preußischer Gemeindeordnung  “Gemeindevorsteher”.1933 kehrte für kurze Zeit die Bezeichnung “Schulze” in einige Bauerndörfer zurück, doch noch in demselben Jahr trat die „Deutsche Gemeindeordnung“, erlassen von der Reichsregierung, in Kraft, und der erste Mann, der in Städten und Landgemeinden das Gemeinwesen führte, wurde reichseinheitlich „Bürgermeister“ genannt.

In Denzin war der Amtsname “Schulze” weitgehend vergessen, wenngleich die Bezeichnungen „Schulteacker“ oder „Schulteland“ gebräuchlich waren. Es handelte sich um verschiedene verstreute Äcker in der Gemeinde. Sie wurden früher z. T. vom Lehrer bewirtschaftet, der aus den Erträgen seinen Lebensunterhalt bestreiten mußte. Als ab 1923 die Lehrer besoldet wurden, übernahm der Bürgermeister auch das Schulland pachtfrei und erhielt darüber hinaus für seine Tätigkeit eine geringe Entschädigung von 1.- RM je Einwohner und Jahr.

In der Gemeinde Roggow indessen, die zusammen mit weiteren Gemeinden den Amts- und Standesamtsbezirk bildete, war die Bezeichnung “Schulte” gebräuchlich. Man sprach nicht vom “Bürgermeister”, sondern vom “Schulte”, z. B. war der Bürgermeister „de Schulte-Pogel”, hochdeutsch “Schulze-Pagel”. Die Familie stellte den Schulzen in Roggow, wie nicht selten in Dörfern zu beobachten, in mehreren Generationen.

Aber was, so werden Sie fragen, hatte der Knüppel mit dem Schulze zu tun?

Ich bin auf den Schulteknüppel aufmerksam geworden durch die „Nere-Möller-Chronik“ der in Denzin alteingesessenen Bauernfamilie Wilhelm Müller. „Nere-Müller“, weil der Hof im Unterdorf Denzins lag und noch weitere Familien diesen Namen führten. In dieser Chronik heißt es:

„Aus der vormaligen Zeit, als der Bürgermeister noch Dorf-Schulze hieß, ist der Schulte-Knüppel-Brauch überliefert, wenn auch nicht mehr gepflegt worden.” Damals ließ der Dorfschulze, wenn er eine Anordnung, Bekanntmachung oder Mitteilung verkünden mußte und sich nicht selbst auf den Weg machen konnte, jemanden aus der Gemeinde mit einem dicken Knüppel von Hof zu Hof gehen. Mit dem Knüppel wurde dann gegen das Hoftor geschlagen und die Verlautbarung in den Hof gerufen.

Dies geschah z. B. auch, wenn jemand im Dorf verstorben war. Das bedeutete, daß das Mistfahren einzustellen war und erst nach der Beerdigung wieder fortgesetzt werden durfte. Der Schulteknüppel diente also nicht etwa dazu, jemanden zu verdreschen, sondern er diente der Verbreitung amtlicher Verlautbarungen – nicht nur in Denzin, sondern wohl in allen Dörfern Pommerns.

Nicht immer waren die Schulzen in alter Zeit des Schreibens mächtig, so schlugen sie mit dem Knüppel an das Scheunentor. Ergänzend zu dem Schulte gab es im Belgarder Amt den

Amtsreiter (Ambtsreither). Er ritt in die Amtsdörfer, zu denen bei uns zum Beispiel Vorwerk, Denzin und Roggow gehörten, schwang eine Glocke, versammelte möglichst viele Dorfbewohner um sich und überbrachte ihnen die Amtsmitteilungen des herzoglichen Amtes, heute vergleichbar mit einem Kreis.

Daß sich der Schulze des Knüppels, der Landreiter in der Funktion als Gendarm der Glocke bediente, ist als Verkündigungsform verständlich, wenn wir uns die alte Form des „Vierkanthofs“ vorstellen. Denzin hatte neun Bauernstellen und zwei Kossätenhöfe. Die Torscheune lag in voller Breite zur Straße, längsseits lagen die Stallungen. Im zurückliegenden Bereich schloß das Wohnhaus die Rechteckform ab. Alle Gebäude grenzten aneinander und schufen so den geschlossenen Vierkanthof. Diese Hofform bot im Mittelalter Sicherheit, u. a. vor Wölfen, und hatte zudem praktischen Nutzen. Sie schützte zum Beispiel vor kalten Winden, und das Kleinvieh konnte nicht weglaufen.

War das Tor im Sommer auch geöffnet, im Winter blieb es vielfach verschlossen; denn das Leben spielte sich jetzt drinnen ab, allenfalls verließ man den Hof durch die seitlich des Tores befindliche Tür, um Besorgungen zu machen oder einen Besuch abzustatten. Wie sollte sich der Schulze da anders bemerkbar machen können, als durch einen polternden Knüppel in der Stärke eines kleinen Pfahls. Die Form eines Vierkanthofs hatte z. B. noch der Hof von Gerfins in Denzin, lediglich das Wohnhaus hatte durch die Vergrößerung der Hoffläche keinen Anschluß mehr an die Stallungen und die Scheune; ähnlich auch der Hof Frömming. Selbst die neuen großen Bauernhöfe, z. B. die von Müller, Strelow und Behling, wahrten noch weitgehend die Vierkantform. Anstelle der einlaßbietenden Torscheune war der Hof zur Straße mit einer Mauer abgegrenzt.

Es gab zum Beispiel in Sager selbst noch 1945 den lütten “Schulteknüppel”. Das Bekanntmachungsschreiben war an ein kleines Stöckchen geheftet, weil man meinte, es konnte dadurch nicht so leicht verloren gehen. Wie in allen Dörfern unterschrieb der Empfänger, daß er die Bekanntmachung erhalten hatte und gab das Schreiben an den nächsten Nachbarn weiter. In Denzin gab es zusätzlich an Wilhelm Müllers Stallgebäude straßenseitig noch einen Bekanntmachungskasten der Gemeinde, der zur Sicherheit der Glasscheiben vorne mit dünnem Maschendraht überzogen war. Ich habe hineingesehen; da hing „Einiges“ drin. Viel Aufmerksamkeit allerdings fand der Bekanntmachungskasten nicht. Wir waren gern städtisch und doch Dorfmenschen eigener Lebensart.

Den ersten Dorfbrief gab die Dorfgemeinschaft Denzin 1985 heraus und nannte ihn “Us leiw Dörp Denzin an’ner Persant”. Als Roggow und Boissin sich uns anschlossen, erweiterten wir den Namen in “Us leiw Dörper Denzin, Roggow un Boissin und unsere Stadt Belgard an der Persante.” 1992 stieß ich durch die Nere-Möller-Chronik auf die Bezeichnung “Schulteknüppel”. Ich fand diese Bezeichnung so liebenswürdig, und da habe ich mir als Erster Sprecher der Dorfgemeinschaften gesagt: „Das ist der künftige Name unseres Mitteilungsblattes“. Somit also wurde er der Hauptname unseres Dorfbriefs, erweitert mit „für die Lande Belgard, Schivelbein und Bad Polzin und de Doerper Denzin und Roggow im Kreis Belgard-Schivelbein in Hinterpommern“.

“Dai” ist das unbetonte “der”. Bei uns sagte man “de”, doch ich habe mir den breiteren Ausdruck des mehr südöstlichen Platts Pommerns zu eigen gemacht. Er zeichnet ein Stückchen des Volksstamms der Pommern. Die nahezu malende Dehnung der Vokale führt zu melodischem Ausdruck und öffnet einen Blick in den Charakter und die Seele des pommerschen Menschen. Denken wir nur an “Huus, koame, loate” usw. Die Vorpommern sprechen da “vornehmer”, sind auch durch Reuter beeinflußt worden.

Ich hoffe, Sie hatten ein wenig Freude an der Geschichte des wachen, geschichtsträchtigen, liebenswürdigen Namens unserer Postille. Zugleich hoffe ich mit diesem Gruß, daß der Schulteknüppel noch lange besteht.

Herzliche Grüße

Ihr Manfred Pleger

Einzelne Restbestände können bei Tino Runge erfragt werden.