Flucht und Vertreibung aus Alt Schlage

Flucht und Vertreibung aus Alt Schlage

„Alt Schlage 1945/46“

 

Bericht von Wilhelm M. :

„Am 03. März 1945, nachmittags 3 Uhr, drangen russische Panzerverbände aus Richtung Schivelbein in unsere Ortschaft ein und fuhren gleich weiter Richtung Belgard und Bad Polzin. Um Alt Schlage wurde nicht gekämpft, es waren keine deutschen Truppen hier außer einer halben Kompanie Volkssturm, die hier Quartier bezogen hatten. Ohne Widerstand stießen die russischen Truppen weiter vor.

Am 04. März 1945 wurde unsere Ortschaft von russischen, vier Tage später von polnischen Truppen besetzt. Beim Durchzug der russischen Truppen wurde ein altes strohgedecktes Haus in Brand geschossen. Es gab für die Gemeinde keinen Räumungsplan, wir wurden vom Feind überrascht.

Eine Bombenevakuierte ist noch mit dem letzten Zug von Ziezeneff nach Kolberg gefahren. Der Zug ist kurz vor Kolberg von Fliegern und Truppen beschossen worden und in Kolberg nicht eingetroffen. Fremde Trecks befanden sich beim Eintreffen der russischen Truppen nicht in der Gemeinde.

Nach den Kampfhandlungen wurde eine polnische Verwaltung eingerichtet, ungefähr nach 6 bis 8 Tagen. Die Gemeinde musste sämtliches Vieh abliefern. Jede Familie konnte eine Kuh behalten. Wer keine Kuh hatte, bekam von den Polen eine zugeteilt. Schweine und Kleinvieh wurden so nach und nach von russischen oder polnischen Truppen weggeholt.

An Gewaltverbrechen ist folgendes bekannt. Ein alter Mann von vielleicht 65 Jahren ist erschossen worden. Nähere Einzelheiten weiß ich nicht darüber. Es sind auch zahlreiche Einwohner schwer misshandelt und geschlagen worden, wenn die Polen vergrabene Sachen gefunden haben. Der Friedhof ist nicht eingeebnet, auch keine Gräber geschändet worden.

Die selbstständige Bauernschaft wurde am 8. Mai 1946 ausgewiesen. Die Gutsarbeiter wurden von den Polen noch festgehalten und erst ein bis eineinhalb Jahre später ausgewiesen. Heute sind keine früheren Einwohner in der Heimatgemeinde.“

Theodor Sch. schrieb 1952:

„In Alt Schlage wurde nicht gekämpft. Lediglich aus dem Hause POPHAL fiel ein Schuss auf die anrückenden Russen, die darauf eine MG-Garbe in das Dachgeschoss des Hauses abgaben. An der Brücke über die Rega war vom Volkssturm eine ganz unzureichende Sperre errichtet, die von den Dorfbewohnern auf Veranlassung der Russen fortgeräumt wurde.

Die Truppen, welche Verbände kann ich nicht sagen, stießen dann durch Alt Schlage durch in Richtung Belgard, wobei es zu Kämpfen mit dem Volkssturm in Neu Schlage kam. Dabei gingen die Wirtschaftsgebäude in Flammen auf. Das Gutshaus wurde später restlos geplündert, ausgeraubt und demontiert.

Im Dorf brannte am 04. März 1945 das Haus des Chausseewärters LITZKOW ab. Die Brandursache ist mir nicht bekannt. Sonst ist im Dorf im Laufe der Besatzungszeit nur das mir gehörende Gehöft zerstört worden. Aus den Ställen wurde alles Brennbare herausgerissen, das Gutshaus von Russen und Polen geplündert, Möbel, Türen und Fenster größtenteils zerschlagen. Täter waren meist Zivilpersonen und polnische Miliz.

Die Bevölkerung wurde ohne Vorwarnung überrollt. Am 02. März 1945 hatte ich bei der Kreisleitung in Belgard angefragt, ob wir trecken dürften und erhielt zur Antwort, wir würden schon rechtzeitig benachrichtigt werden. Der Ortsgruppenleiter hatte geäußert: „Wir sind doch keine Hampelmänner!“ Er und ca. zehn andere Einwohner des Dorfes haben sich beim Einmarsch der Russen das Leben genommen. Auf dem Grab musste auf Befehl der Russen eine Inschrift angebracht werden: „Ermordet, aber nicht durch die Russen, sondern durch die Propaganda von Dr. Göbbels.“

Zunächst blieb die gesamte Bevölkerung in Alt Schlage zurück. Im Mai 1946 verließen die Bauern die Gemeinde über Schivelbein. Zu einem späteren Termin wurden die nicht zu den beiden Gütern gehörenden Einwohner ausgewiesen. Zurück blieben nur die Angehörigen der Güter und einige Flüchtlinge, die in Alt Schlage geblieben waren. Sie mussten auf den Feldern für die Polen arbeiten.

Am 13. Juni 1947 wurden meine Frau, ich und ca. 6-7 weitere Personen aus Alt Schlage ausgewiesen und über Belgard, Posen nach zehntägiger Bahnfahrt mit großen Umwegen ins Lager zunächst nach Riesa und dann nach Leipzig gebracht. Nun blieben nur noch die Gutsarbeiter zurück, die dann im November 1948 ausgewiesen wurden, so dass jetzt kein Deutscher mehr in Alt Schlage ist.

Kurz vor dem Eintreffen der Russen befanden sich über 100 Flüchtlinge aus den östlichen Kreisen Pommerns, Ost-und Westpreußen in Alt Schlage, davon ca. 60 in meinem Haus. Der größte Teil derselben, wurde am 02. März 1945 auf Befehl der Kreisleitung in einem Zug in Ziezeneff verladen. Der Zug kam aber nicht weit. Er wurde beschossen. Was aus den anderen Flüchtlingen geworden ist, weiß ich nicht. Ein kleiner Teil kam nach Alt Schlage zurück.

Mitte März 1945 übernahmen die Polen die Verwaltung von den Russen. Zuerst waren nacheinander drei Militärkommandanturen, die sich ordentlich benahmen. Vergewaltigungen der Frauen durch die Polen kamen nicht vor, während die Russen in dieser Hinsicht brutal hausten. Etwa Anfang Juli 1945 wurde dann die Militärkommandantur durch eine zivile Verwaltung abgelöst und mit ihr setzte dann eine schwere Zeit für die Bevölkerung ein. Unter Leitung bzw. mit Billigung der Verwalter, wurden Gehöfte systematisch geplündert und den Leuten das letzte Vieh genommen. Unser gesamtes Vieh war bereits gleich nach der Besetzung fort getrieben bzw. geschlachtet worden. Männer, Frauen und Kinder über 12 Jahre mussten bei unzureichender Beköstigung und Lohn schwer arbeiten. An den Plünderungen beteiligte sich besonders die Miliz.

Die beiden Güter in Alt Schlage, im Gut von Herrn GROßKREUTZ befand sich die Kommandantur, wurden miserabel bewirtschaftet, die Bauernhöfe wurden mit von den Russen vertriebenen polnischen Bauern besetzt. Diese benahmen sich zum größten Teil sehr anständig und zum Teil hilfsbereit gegenüber der verbliebenen deutschen Bevölkerung.

Wenn man von den Vergewaltigungen der Frauen absieht, sind besonders schwere Verbrechen von den Russen und Polen in Alt Schlage nicht begangen worden.“

 

Bericht des ehemaligen Bürgermeisters, Hermann F.

Die Antworten und Ausführungen des u. a. Berichts beziehen sich auf diese Fragen:

 

1) Über welchen Kreis, Gemeinde wird berichtet? Welche Teile gehörten zur Gemeinde?

2) Wann kamen die Russen und aus welcher Richtung?

3) Wurde der Ort verteidigt? Fanden Kämpfe statt?

4) An welchem Tag geriet der Ort in russische Hände?

5) Gab es Zerstörungen?

6) Wann wurden Treck-Erlaubnis oder Räumungsbefehl gegeben?

7) Wie verlief die Flucht?

8) Waren andere Trecks, z. B. aus Ostpreußen, in der Nähe?

9) Wann übernahmen die Russen, wann die Polen die Verwaltung?

10) Gab es Verschleppungen oder andere Gewaltverbrechen? Wurden Friedhöfe zerstört?

11) Wurden Straflager eingerichtet?

12) Besitzen Sie noch Bekanntmachungen oder haben Sie einige in Erinnerung?

13) Sind Akten, Aufzeichnungen, Dokumente, Schriftgut gerettet worden?

14) Wann und wie erfolgte die Ausweisung? Sind jetzt noch Deutsche dort? Gibt es eine Gemeindeliste?

 

zu 1)      Gemeinde Altschlage

zu 2)      Aus südöstlicher Richtung und aus Schivelbein am 3.3.45, 14.30 Uhr mit Panzerabteilungen.

zu 3)      Ohne Widerstand durchgestoßen über Damerow, Grössin auf Kolberg zu.

zu 4)      Besetzung gleich am 3.3.45. Die Nacht darauf: „Frau komm!“

Den nächsten Tag die Bewohner zusammen getrieben in der Schule und auf zwei Gutshöfen; danach geplündert. Die polnischen Arbeiter mussten gleich nach Hause, gefangene Franzosen in ihre Lager. Dass die Ausländer gleich fort kamen, war unser Glück, da konnten die Bewohner nicht verraten werden.

zu 5)      Gebäudezerstörungen: Kreuzung Nr. 32/36 niedergebrannt und 21/15 Dach zerstört.

zu 6)      Ohne Warnung von Sowj. Panzern durchgefahren. Dorf kurz mit Maschinenpistolen und Gewehr beschossen, später kam Infanterie.

zu 7)      Befehl zur Flucht konnte nicht gegeben werden, da wir täglich Trecks durchgeschleust haben. Ab 1.8.44 kamen die ersten Letten, September Ostpreußen, Oktober Westpreußen. November – Dezember folgten weitere Kreise. Unser Dorf war ab Dezember 1944 mit Trecks täglich überfüllt. Da ich 1. Schöffe war, musste ich die letzten Jahre als Bürgermeister einspringen, musste zwei Gemeinderäte beauftragen, die für Unterkunft sorgten und für Futter für die Pferde. Unser Durchgang war Straße 7.

Im Januar kamen Schnee und Kälte. Trecks aus weiteren Kreisen zogen durch. Es ging über Schivelbein, Labes, Stargard, Stettin. Im Februar folgten die nächsten Kreise: Neustettin, Rummelsburg, Dramburg. Wurden nach Schivelbein geleitet. Später ging die Durchschleusung nicht mehr über Stargard, sondern es musste über Naugard, Usedom-Wollin gehen, da bei Stargard der Feind durchgestoßen war. Dieses war kurze Zeit, dann standen die Trecks still. Der Feind hatte die Einkesselung vorgenommen, jetzt kam der Russe von Falkenberg und Schivelbein, ein Teil durch unser Dorf, die anderen von Schivelbein über Falkenberg nach Kolberg. Die Trecks auf den Straßen hatten vereinzelt Verluste, und was die Truppen gebrauchten, wurde geräubert, junge Männer, weil sie nicht frei ihre Wagen durchsuchen lassen wollten oder „Frau komm“.

zu 9)      Am 7.3.45 durch Polen weiter besetzt. Polnische Verwaltung trat ein. Auf Gut Großkreuz N. 25 liefen die jungen Mädchen und Frauen abends hin, um Schutz vor den Russen zu suchen.

Die anderen Bauernhöfe wurden im Mai 1945 durch Zivilpolen besetzt. Nach der Ernte 1945 spielten wir Knechte und Mägdep. Inzwischen wurden deutsche Familien ausgetrieben, um zu räubern und auch wieder zurückgeholt.

 

Am 8. Mai 1946 wurden die Grundstücks- und Bauernhofsfamilien ausgewiesen. Erst Lager Schivelbein, nächsten Tag verladen nach Stettin, nach 5 Tagen mit dem Schiff nach Lübeck, von dort nach Pöpendorf ins Lager und von da aus verteilt: Raisdorf, Kiel und Lager Mölln.

 

zu 10)    Schwere Verbrechen von den Russen: 5 Personen erschossen und 2 verletzt. Mehrere gingen freiwillig in den Tod. 4 Volkssturmsoldaten und 6 Soldaten als Gefangene vom Russen erschossen. Papiere sind durch Hin- und Herwechsel der Polen verloren gegangen. Man konnte seine eigenen Papiere nicht halten.

 

zu 11)    Da wir einen deutschfreundlichen Bürgermeister hatten, ist unsere Gemeinde vor Verschleppung verschont geblieben. Auch die polnische Kommandantur war uns behilflich, schickten die Leute alle aufs Feld. Die Russen bekamen gut zu essen und wurden betrunken gemacht und ihnen gesagt, die jungen Leute sind schon fort und die alten Leute brauchten sie zur Arbeit. Auf der polnischen Kommandantur war eine herrliche Zeit. Alle Woche wurden zwei Schweine geschlachtet und der Sprit von den Brennereien wurde nicht alle.

Ein Straflager war in unserer Gemeinde nicht, auch in anderen Nachbardörfern nicht. Die deutschen Leute, die noch da waren, brauchten die Polen dringend zur Arbeit. Es war in Schivelbein und später in Belgard ein Lager für Deutsche, die gesammelt wurden zum Transport zum Weiterschleusen.

zu 12)    Bekanntmachungen und Aufrufe von Polen bekamen die deutschen „Schweine“ nicht zu hören, wir waren von der Welt abgeschnitten. Post kam nicht durch. Radio und Fahrräder mussten gleich abgegeben werden. Lichtleitungen waren kaputt geschossen. Sie wurden Februar 1946 erst hergestellt. Getreidedrusch wurde erst mit Traktoren vorgenommen, auch der Dreschflegel musste bei kleinen Wirtschaften aufgenommen werden. Das erste Vieh nahm der Russe und trieb es herdenweise ab. Das letzte Vieh teilten sich die Polen. Es wurde ein ganzes Jahr gestohlen: Kleidungsstücke und Wertsachen.

Ferner wurden viele Deutsche am 19. Dezember 1945 von den Polen ausgetrieben, als sie wussten, dass in den Haushaltungen was verborgen war, mit Hilfe der Miliz auf einen Gutshof, dort die letzten Gepäckstücke sortiert nach Ringen, Uhren, Geld und Sparbüchern und die Leute geschlagen. Es traf nicht alle im Orte, nur wo der Pole etwas vermutete. Am Abend wurden sie auf Wagen geladen und nach Schivelbein 9 km gefahren und auf dem Bahnhofsvorplatz abgeladen. Nun hieß es, Unterkunft bei den wenigen Deutschen dort zu suchen. Nach zwei Tagen mussten sie wieder um Aufnahme bitten. Der Pole nahm sie an, aber als Knechte und Mägde und sie fanden eine Bodenkammer oder eine Stube vor. In der alten Wohnung und in den guten Zimmern wohnten die Polen. Zuletzt gehörte einem die eigene Waschschüssel nicht mehr.

 

So wurden die eigene Heimat und der Grundbesitz zur Hölle. Jeder hat den Tag erwartet, wo er leicht die Heimat verlassen konnte. Der Tag kam noch nicht. Wir mussten erst das geerntete Getreide ausdreschen helfen. Wo zwei Frauen oder Damen im Haushalt waren, musste eine im Regen oder Schnee ins nächste Dorf, 5-6 km, zur Arbeit, den Hof bei den Polen sauber machen, Kartoffelmieten bewerfen. Den nächsten Tag wieder Holz sägen oder hauen. Dann kam der Frühling. Dann mussten wir erst Hafer säen, Kartoffeln sortieren und dann auch pflanzen. Da kam ein junger Bürgermeister, ein Pole, der früher im Dorf als Knecht war. Sein früherer Bauer musste seinen Hof verlassen und ging in ein Nachbardorf, um Ruhe zu haben. Selbst ich wurde verraten. Zwei Tage wurde ich im Keller eingesperrt und geschlagen. Ich sollte aussagen, wo ich den Schnaps und Zigarren eingegraben hätte, da ich gleichzeitig Gastwirt war. Um nicht weiter geschlagen zu werden, musste ich zugeben, keinen Schnaps und Rauchware, sondern eine kleine Kiste mit Speck vergraben zu haben. Wie ich sie ausgegraben hatte, da nahmen sie den Speck nicht, aber ich war frei, aber wurde noch geschlagen. Und so ist es vielen ergangen.

Als wir den Polen alles in die Erde gepflanzt hatten, dann war es so weit, dass sie uns abschoben. Es war am 8. Mai 1946 vormittags, als wir von der Heimat Abschied nehmen konnten. Es war leicht, aber schwer war es, dass die Arbeiter von den beiden Gütern noch da bleiben mussten. Sie kamen ein Jahr später heraus. Und so gibt es viele Dörfer, aus denen die Männer vorher verschleppt wurden und die Frauen und Kinder allein die Heimat verlassen mussten mit dem Bündel, was jeder tragen konnte.

In Stettin wurde unser Gepäck noch einmal nach Wertsachen durchsucht und Geld und Sparbücher abgenommen. Auch meine Sparliste von unserer Kasse Alt Schlage hatten sie in der Hand. Ich sagte, es ist Altpapier, weil es gelb und fleckig war. Es hatte ¾ Jahr im Keller unter den Kartoffeln gelegen. Der Pole gab es zurück und dachte nicht an ein Dokument. Hier lag nun 1952 meine letzte Arbeit für meine Heimatleute, konnte helfen, wenn ihre Sparbücher verloren gegangen waren. Es war unsere Spar- und Darlehnskasse Altschlage Kreis Belgard, die ich in 20 Jahren aufgebaut habe und der ich jetzt den letzten Dienst erwiesen habe.