Das unsittliche Leben des Lehrers KERSTEN in Reinfeld

Aus der Reinfelder Chronik von 1940, zusammengetragen von Tino Runge

Im Jahre 1798 wurde dem Küster und Lehrer Michael BORCK, der 32 Jahre alte Johann Heinrich August KERSTEN in Reinfeld zur Seite gestellt. Er stammte aus Schönwalde im Borckeschen Kreis, dem heutigen Kreis Regenwalde.

Johann KERSTEN erlernte wie viele Lehrer ihrer Zeit das Schneiderhandwerk und diente darauf 12 Jahre bei einem brandenburgischen Infanterie Regiment. Bevor er nach Reinfeld kam, war in Völzkow bei Schivelbein als Schneider tätig. Eine besondere Ausbildung als Dorfschullehrer hatte er nie erhalten.

Noch um 1800 wurde den Küsterdiensten größere Bedeutung beigelegt als dem Unterricht der Dorfjugend. Ehe KERSTEN die Dienste in Reinfeld übernahm, musste er den Beweis erbringen, dass er fähig war, die Küsterdienste zu verrichten.

Vor der in der Kirche versammelten Gemeinde hatte er ein Lied zu singen und eine Predigt zu lesen. Nachdem er diese Bedingungen zur Zufriedenheit aller erfüllt und das Versprechen abgegeben , stets, wenn es verlangt würde, Brot und Wein von der Stadt zur Kommunion zu holen, durfte er die Küsterdienste verrichten. Die Schuljugend durfte er selbstverständlich sofort unterweisen, ohne vorher eine Prüfung abzulegen.

Doch hat der Reinfelder Pastor STREY als örtlicher Schulinspektor sehr schnell bemerkt, wie es mit den Fähigkeiten des neuen Lehrers bestellt war. Um die größeren Mängel in der Bildung KERSTENS zu beseitigen, gab ihm der Prediger STREY Privatunterricht.

Es ist verständlich, wenn das Vertrauen der Bauern zu derartigen Lehrern nicht unbegrenzt war. So oft sie nur konnten, hielten sie ihre Kinder vom Unterricht zurück. Pastor STREY klagt über die Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber der Schule. „Der größte Teil begnügt sich damit, wenn die Kinder nur so viel lernen, dass sie konfirmiert werden können.“ Die Arbeit der Kinder in der Landwirtschaft hielten die Eltern für nützlicher als den Schulbesuch.

Es klingt wie ein bitterer Hohn, wenn KERSTEN 1806 für sich und die Schule Zuwendungen von Herrn von der OSTEN erhielt als Belohnung für seinen „guten Lebenswandel“ und sein „moralisches Betragen“. Die Zeit der Kriege gegen Napoleon mit ihrer Not und Unterdrückung veränderten den Reinfelder Lehrer vollkommen. Er hatte noch in der ruhmreichen Armee des großen Friedrich gedient und empfand die Schmach von 1806 und 1807 besonders schwer. In dieser bösen Zeit ergab er sich dem Trunke, obwohl er selber nicht zu den Waffen gerufen wurde. Die Schule in Reinfeld wurde während des Krieges nicht geschlossen, auch dann nicht, als der Schulbesuch fast ganz aufhörte. Als nach den Freiheitskriegen wieder Friede im Lande herrschte, war von einem „moralischen Betragen“ bei KERSTEN nichts mehr festzustellen.

Es mehrten sich die Klagen der Gemeinde über die Trunksucht des Lehrers.

Am 15.11.1818 beschwerte sich die Elternschaft über die zerrütteten Familienverhältnisse KERSTENS. Mit den Seinen lebte der Lehrer in dauerndem Unfrieden. Der Prediger ROLOFF bescheinigte, dass der Küster öfters die Scheidung von seiner Frau vor dem Patrimonialgericht beantragt hatte. Er hat sich allerdings  immer wieder mit seiner Gattin ausgesöhnt.

Die ihm anvertraute Schuljugend behandelte KERSTEN so grob, dass die Kinder das Vertrauen zu ihm völlig verloren. Fürchteten die Eltern nicht eine Geldstrafe, sie hätten ihre Kinder kaum zum Unterricht geschickt. Als Beispiel für die Zügellosigkeit des Lehrers wird erwähnt, dass er die Kinder nicht nur geschlagen, sondern auch mit dem Kopf gegen die Tür gestoßen habe. Die Ursache für das merkwürdige Verhalten lag wohl ebenfalls darin, „dass der Laster des Trunkes so ergeben, dass er zum Öfteren 14 Tage lang niemals nüchtern gewesen.“ Dabei ging es ihm wirtschaftlich erheblich besser als seinen Vorgängern, denn er besaß Privatvermögen.

Obwohl er vom Beruf Schneider war, gehörte ihm doch ein Bauernhof im Dorf, heute (1940) der Hof des Bauern ZEMKE, den er durch einen Knecht und einen Instmann bewirtschaften ließ. Von den vielen Beispielen, die von dem Benehmen KERSTENS im Rausch zeugen, sollen hier nur einige Einzelheiten wiedergegeben werden.

Im Hause des Brennereiverwalters FISCHER versammelte sich jeden Abend die Jugend des Dorfes. Vielleicht trafen sich dort die Burschen und Mädchen, weil der Brennereiverwalter ein sehr gastfreies Haus führte, vielleicht auch, weil es noch kein Alkoholmonopol gab. Lehrer KERSTEN fehlte nur selten bei diesen abendlichen Zusammenkünften. Es wurde getrunken, gescherzt und der Invalide Ernst BARZ spielte zum Tanz auf.

Ihn schlug einst KERSTEN bei einem derartigen fröhlichen Dorfabend, als er schon stark angetrunken war ohne jeden Grund, was später Zeugen unter Eid bestätigten, so heftig an den Kopf, dass ihm sein Instrument entfiel und in mehrere Stücke zersprang. Der Lehrer setzte den von ihm gesuchten Streit auf der Straße fort, wo er „aller gütlichen Vorstellungen ungeachtet, großen Aufruhr erregte“. (Dies ist Niedergeschrieben in einer Beschwerde der Gemeinde Reinfeld gegen den Küster und Schulhalter KERSTEN vom 15.11.1818.)

Die jungen Männer hatten dem betrunkenen Küster das Tanzen mit ihren Mädchen verboten. KERSTEN verfolgte sie deshalb noch auf der Straße um sich zu rächen.

Ähnlich hauste er n seiner Familie wenn er berauscht war. Der Einwohner BARZ und der Pächter HELL bezeugen bei dem Prozess gegen den Lehrer im Jahre 1819, dass KERSTEN 1816, „einige Male durch eheliche Zwistigkeiten seine Ehefrau und Kinder das Haus zu verlassen genöthigt, während dessen dem Trunk sich ergeben und ein Pistol mit den Worten er wolle ein Ding thun, das nicht gut sey ergriffen habe“.

Groß war das Vertrauen zu KERSTEN im Dorfe nie gewesen. In den drei Jahren nach den Befreiungskriegen verfeindete sich der Lehrer durch sein ausschweifendes Leben mit allen Gemeindemitgliedern. So musste es denn zur Katastrophe kommen, nachdem alle Ermahnungen des Schulvorstandes, des Pastors und der Regierung fruchtlos geblieben waren. Im Frühjahr 1818 wurde in Reinfeld der einzige Schulstreik, den es hier je gegeben hat, ausgerufen. Weil mehrere Beschwerden der Elternschaft bei der Regierung die Abberufung des verhassten Lehrers nicht bewirkt hatten, schickten diese ab Mai 1818 kein Kind mehr zur Schule. Drohungen und Ermahnungen der Regierung blieben völlig ohne Erfolg.

Um den Schulstreik zu beenden, kam am 26.11.1818 der Schulinspektor JUST aus Naseband nach Reinfeld. Er legte KERSTEN nahe, sein Amt freiwillig niederzulegen. Dazu war der Lehrer aber nicht zu bewegen. „So ist er seines Amtes ganz unwürdig“, sagte Herr JUST über ihn. Denn, „der angestellten Untersuchung nach ist derselbe ein Trunkenbold, der mit Saufen oft wochenlang anhält und seine Familie in der Besoffenheit mehrere Male aus dem Hause gejagt hat“.

Vor dem Kgl. Preußischen Oberlandesgericht zu Köslin wurde KERSTEN am 14.08.1819 zur Tragung der Untersuchungskosten verurteilt und seines Amtes enthoben. Er war damals seit 21 Jahren Küster und Schulhalter in Reinfeld, hatte 6 Kinder und war bisher unbestraft. Sechs Fälle schwerer Trunkenheit, zumeist mit Raufereien verbunden, wurden ihm in der Urteilsbegründung zur Last gelegt. KERSTEN gab sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden, er legte Berufung ein. Sein Prozess wurde im Herbst 1819 in Stettin noch einmal aufgerollt. Allerdings erreichte Lehrer KERSTEN dort nicht mehr als in Köslin.

Während des Prozesses bewohnte er weiterhin das Schulhaus, obwohl das Wohnhaus seines Bauernhofes unmittelbar daneben völlig leer stand. Die Regierung erließ am 13.10.1819 gegen ihn Räumungsbefehl, dem KERSTEN bis zum 01.11.1819 Folge leistete.

Als Besitzer eines der 8 großen Bauernhöfe spielte der einstige Lehrer noch weiterhin in der Geschichte des Dorfes eine Rolle. Über seinen Verbleib gibt es keinerlei Angaben.

Nebenbei bleibt erwähnt, dass sein Nachfolger der am 18.03.1790 in Kolberg geborene Karl Wilhelm BEYER wurde.