Der Schmiedemeister und der Chausseebau

Eine wahre Begebenheit aus den Jahren 1933/34 im Kreise Belgard zwischen Arnhausen und Jeseritz.

Von Max Damerow

Als eine der ersten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem 30. Januar 1933 wurde im Kreise Belgard der Chausseebau zwischen den Dörfern Arnhausen und Jeseritz geplant und durchgeführt.

Messtischblattauszug Nr.2161

Dieser Straßenbau war bitter notwendig und hätte, wie viele andere Chausseebauten in Pommern, längst durchgeführt sein müssen und auch können, wenn die anliegenden Gutsbesitzer rechtzeitig mehr Initiative und Opferbereitschaft gezeigt hätten.

Denn, wenn auch dieser Chausseebau im allgemeinen Interesse der Bevölkerung lag, so war das wirtschaftliche Interesse und der Vorteil der anliegenden Großgrundbesitzer doch überwiegend. So begrüßenswert und unterstützungswürdig diese Maßnahme der neuen Machthaber war, so war sie doch in der Art und Weise ihrer Durchführung auf das Schärfste zu verurteilen.! Nun verstanden es die neuen Machthaber meisterhaft, wie das leider auch heute noch teilweise geschieht, ihre Vorhaben durch einseitige Darstellung in der Öffentlichkeit und politisch hoch zu spielen. Schmiedemeister X in Arnhausen, Kreis Belgard, betrieb neben seinem Handwerksbetrieb eine kleine Landwirtschaft, wie dies in den Bauerndörfern Hinterpommerns die Regel war. Denn ohne Landwirtschaft als Nebenbetrieb waren im Allgemeinen die selbständigen Schmiedemeister und Stellmachermeister auf den Dörfern nicht existenzfähig. Anders lagen die Verhältnisse bei den genannten Handwerkern, die in den Gutsbetrieben beschäftigt wurden.

Der Chausseebau Arnhausen – Jesereritz sollte, um den bisherigen Landweg bzw. Landstraße zu begradigen, mitten durch das beste und größte Stück Ackerland des Schmiedemeisters X verlaufen. Dadurch wurde dieser Acker zu beiden Seiten der geplanten Chaussee nicht nur ganz erheblich verkleinert, sondern in seiner Landwirtschaftlichen Nutzung sehr stark herabgemildert, so dass sich der landwirtschaftliche Nebenbetrieb nicht mehr als nutzbringend erwies. Erst bei Durchführung der Arbeiten wurde der Eigentümer unterrichtet. Auch über Art und Höhe einer Entschädigung war und wurde ihm von der zuständigen Behörde, dem Kreisbauamt in Belgard, nichts verbindliches mitgeteilt.

Diesbezügliche persönliche Vorsprachen beim Kreisbauamt und Landratsamt in Belgard durch Schmiedemeister X waren nicht nur erfolglos, sondern man sagte dort, er solle nur nicht die Baumaßnahmen sabotieren, die eine Verminderung der damals auch in Pommern hohen Arbeitslosenzahl herbeiführe und viele „Volksgenossen“, so die damalige Bezeichnung, in Arbeit und Brot bringe. Dies war der Sachverhalt, den Schmiedemeister X uns, Rechtsanwalt und Notar Albert SALOW und dem Verfasser, wahrheitsgemäß, wir wir feststellten, vorgetragen hatte.

Der Schmiedemeister flehte um Hilfe, da er mit Recht die Gefährdung seiner Existenz befürchtete! Dieser Fall ging uns sehr nahe und „über die Hutschnur“. Fest stand, dass dem Mandanten anwaltlich geholfen werden musste. Ebenso war uns aber auch bewusst, dass die Ausführung dieses Auftrages nicht nur sehr schwierig sein würde, sondern auch in der damaligen Zeit gefährlich war, weil sie dem Anwalt als „Sabotage“ einer staatspolitisch dringenden und wichtigen Maßnahme ausgelegt werden würde. Am gleichen Tage des Gespräches wurde ein sehr sachlich gehaltenes und rechtlich gut fundiertes Schreiben an das Kreisbauamt und der Eilbedürftigkeit wegen, auch gleichzeitig an das Landratsamt Belgard gerichtet. In diesem Schreiben wurden die genannten amtlichen Stellen aufgefordert, die bereits in Vorbereitung befindliche Baumaßnahme unverzüglich einzustellen und zwar so lange, bis die berechtigten Entschädigungsansprüche des Schmiedemeisters zufriedenstellend geregelt seien, andernfalls der Erlass einer gerichtlichen „einstweiligen Verfügung“ beantragt werden müsste.

Diese anwaltliche Aufforderung bzw. dieses Schreiben hatte, wie man sich bei Kenntnis der damaligen Verhältnisse lebhaft vorstellen kann, die Wirkung eines „Stiches ins Wespennest“.

Bis zum Ablauf der „gesetzten kurzen Frist“ vergingen drei Tage der Spannung. Dann wurde statt einer schriftlichen Antwort, Rechtsanwalt SALOW derartig unter Druck gesetzt, dass es zur „Anrufung des Gerichts“ nicht mehr kam. Schmiedemeister X wurde zum Landratsamt beordert. Er musste sich mit einer geringfügigen Entschädigung einverstanden erklären und sein Fall verlief „im Sande“ !

Für Rechtsanwalt und Notar Albert SALOW hatte die Angelegenheit aber noch Nachwirkungen. Er war im Mai 1933 der Partei beigetreten, galt also, wie alle diese Parteimitglieder als „Märzgefallener“. Gegen Rechtsanwalt SALOW wurde ein sogenanntes „Parteigerichtsverfahren“ eingeleitet, da er es gewagt hatte, seine anwaltlichen Pflichten über die „Interessen der Partei“ zu stellen. Dieses „Parteigerichtsverfahren“ wurde lange hinausgezögert. Es hing über Albert SALOW wie ein „Damoklesschwert“ im wahrsten Sinne des Wortes! Und das war wohl auch der Sinn und Zweck dieses Verfahrens, das später nach etwa zwei Jahren mit einem Verweis endete. Rechtsanwalt SALOW wäre aufgrund dieses Vorfalles aus der Partei ausgetreten, wenn er nicht, wie alle Diejenigen, die einen solchen Austritt wagten, erst recht Schwierigkeiten und Schlimmeres zu gewärtigen hatten. Die Partei verstand es meisterhaft, ihr nicht angenehme Verhaltensweisen von vornherein niederzuwalzen! Um es nicht zu Prozessen kommen zu lassen, die die Gerichte wenigstens noch zum damaligen Zeitpunkt gegen die Partei entschieden hätten.

Rechtsanwalt SALOW hatte wohl auch die mehrfachen, wenn auch nur kurzen Verhaftungen seines Kollegen Rechtsanwalt SCHMIDT aus Schivelbein vor Augen, die nur deshalb erfolgten, weil dieser sich ungünstig über die Partei geäußert haben sollte.

Rückblickend kann man leicht sagen, hier hätte der Widerstand erst recht aktiv einsetzen müssen! Dies hatte aber zur Voraussetzung, dass ein solcher Widerstand hätte organisiert, publiziert und von einer Partei hätte getragen werden müssen. Eine Oppositionspartei aber gab es nicht, ebenso kein entsprechendes Presseorgan!

Im Übrigen wurden dem Volke durch alle Presseorgane usw. laufend „eingehämmert“, dass die großen Aufgaben der Regierung auch kleine Ungerechtigkeiten mit sich bringe, die man „in Kauf“ nehmen müsse! es handele sich hierbei aber immer nur um Ausnahmen!

Ja und das Volk begann es zu glauben, musste es auch glauben, weil es nur einsetig und im Sinne des Regimes unterrichtet wurde, wie das bei den heutigen noch bestehenden Diktaturen ebenfalls geschieht.

Rechtsanwalt und Notar Albert SALOW ist im Sommer 1945 in Schivelbein verstorben.

Ehre seinem Andenken!